Projektbericht

Schüler_innenaustausch mit Österreich
“Zwei Länder, zwei Kulturen, eine Reise”

Teilnehmer_innen:
2018 nahmen insgesamt 24 Personen an der Österreichreise teil, davon 21 Schüler_innen der Klassen IIIAB Básico (6. Klasse AHS) im Alter von 16 Jahren und drei Lehrer_innen (die beiden guatemaltekischen Lehrerinnen Lisa Borrayo und Lourdes López sowie der österreichischer Lehrer Reinhold Brandl).

Auswahl:
Für die Auswahl der Schüler_innen waren deren Leistungsstand und ihr Verhalten ausschlaggebend.

Projektvorbereitung:
Die Vorbereitung des Projekts begann im Oktober 2017 mit der Planung der Gesamtziele, Zielgruppenbestimmung, Ausarbeitung pädagogisch-didaktischer Ziele, Recherchen zur Festlegung eines Gesamtreiseplans sowie der Erstellung eines Budgetplans nach Preisrecherchen. Ab Jänner 2018 wurden die genannten Tätigkeiten intensiviert, so zum Beispiel durch:

  • Festlegung der Auswahlkriterien der teilnahmeberechtigten Schüler_innen
  • Auswahl der teilnehmenden LehrerInnen
  • Einschulung der BegleitlehrerInnen
  • Vorbereitung der SchülerInnen (Workshops)
  • Detailplanung der Reiseziele
  • Detailplanung der kooperierenden Schulen
  • Suche/Kontaktierung von Gastfamilien
  • Einholung von Kostenvoranschlägen
  • Erstellung eines genauen Reiseprogramms
  • Buchung von Flügen und Bustransport vor Ort, Unterkünften, Führungen, Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen, Reise- und Krankenversicherungen
  • Erstellung von Mappen mit Reiseinformation über und für die Schüler_innen
  • Informationsveranstaltungen für Schüler_innen und Eltern

Sprachliche Ziele:
Zweifellos war die Verwendung der deutschen Sprache im „Mutterland“ der Österreichischen Schule Guatemala das Hauptziel. Die meisten SchülerInnen waren noch nie in einem deutschsprachigen Land gewesen und ganz wenige hatten schon einmal Österreich besucht. Schon die Vorbereitung auf die Reise verlangte von den Schüler_innen, für die ein genauer Arbeitsplan (siehe unten) erstellt worden war, sich mit den österreichischen Varianten der deutschen Sprache kritisch auseinanderzusetzen.
Vor Ort dann wurden die vier verschiedenen Kompetenzen des Spracherwerbs und der Sprachverbesserung geübt: Lesen, Hören, Sprechen und Schreiben. Es galt dabei nicht nur, sich in den verschiedenen besuchten Bundesländern auf jeweils andere Dialekte einzustellen, sondern auch mit Personen unterschiedlicher sozialer Schichten zu unterschiedlichen Zwecken zu kommunizieren, formalen Diskursen wie auch Alltagsgesprächen zu folgen, Information selbst zu erfragen/erlesen, Vorträgen konzentriert zu folgen, Detailfragen zu stellen, sich mit verschiedenen Medien auseinanderzusetzen usw. Die Liste könnte noch lange fortgeführt werden und reicht von Wegauskünften für „verloren“ gegangene Schüler_innen bis zu Spitalsbesuchen, nicht zu vergessen die brieflichen wie auch persönlichen Kontakte mit den Gastfamilien.
Auf folgende Themenliste hatten sich die SchülerInnen vorzubereiten und daraus dann für die Erarbeitung eines Reiseportfolios individuelle Aspekte auszuwählen:

Inhalt:

  1. Erwartungen/Wünsche vor der Reise: Landeskunde, interkulturelle Kompetenzen, soziale Kompetenzen, sprachliche Kompetenzen
  2. Planung
  3. Reiseroute, -ziele
  4. Reisetagebuch
  5. Gastfamilie & Familienleben (Alltag)
  6. Austauschpartner(in)
  7. Gastschule
  8. Geographie & Landschaften
  9. Flora & Fauna
  10. Klima & Wetter
  11. Architektur
  12. Geschichte
  13. Kultur
  14. Essen
  15. Einkaufen & Souvenirs
  16. Medien: Fernsehen, Radio, Zeitungen
  17. Nationalitäten
  18. Interessante Veranstaltungen bzw. Erlebnisse
  19. Fettnäpfchen
  20. Sitten & Bräuche
  21. Sprache:
    • Dialekt, Umgangssprache und Hochsprache
    • Glossar von Einzelwörtern und Ausdrücken
    • Beispiele für gesprochenen Deutsch
    • Besonderheiten beim Lesen, Hören, Schreiben und Sprechen
    • Interviews über interessante Themen mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen
    • Lektüre (Zeitungen, (Schul-)Bücher, WhatsApp, E-Mail
    • Sammlung erhaltener & geschriebener E-Mails (vor, während und nach der Reise)
    • Kreative Texte
  22. Persönlicher Gesamteindruck (Kommentar und Empfehlung)

Kulturelle Ziele:
Natürlich war das Kennenlernen und Eintauchen in viele Facetten der österreichischen Kultur ein weiteres wichtiges Ziel. Das Projektprogramm war so zusammengestellt worden, dass in der relativ kurzen Zeit von drei Wochen möglichst viele Einzelziele erreicht werden konnten. So zeigt zum Beispiel eine genauere Betrachtung des Reiseprogramms in Österreich, dass es sich nicht bloß um eine simple Rundreise handelt. Folgende Kriterien – in Auswahl – waren für die Erstellung der Reiseroute und die Planung von Besichtigungen und Veranstaltungen u.a. entscheidend:

  • Kontrast Land – Dörfer – Stadt (verschiedene Dorfformen, Gehöfte, historisch gewachsene Stadtkerne, Städtebau heute, moderne Siedlungen, Villengegenden)
  • Architektonische Stile: Von der Romanik bis zu avantgardistischen Gebäuden.
  • Museen: Darstellung Österreichs als Land, das sich seiner Kultur- und Kunstschätze bewusst ist und diese konserviert und exponiert. Breite Palette von Malerei und Naturkunde über die Geschichte der Arbeit bis hin zu elektronischer Kunst oder moderner Technik.
  • Musik: Kennenlernen verschiedener Musikstile (Opernbesuch, Jazzabend, Volksmusik, elektronische Musik, Schlager, Straßenmusik)
  • Literatur & Bibliotheken: Nationalbibliothek, Stiftsbibliothek, Buchläden
  • Bildhauerei: Besichtigung & Erklärung zahlreicher Denkmäler & Skulpturen, von sakraler Kunst bis zu Alltagskunst

Interkulturelle Ziele:
Ausgehend vom an der Österreichischen Schule Guatemala gelehrten und gelebten Konzept, dass Kulturen und ihre Träger als grundsätzlich gleichwertig und gleichberechtigt anzusehen sind und dass Kulturen und Menschen voneinander lernen und sich in diesem Lernen auch gegenseitig bereichern können, beinhaltet das Projekt u.a. folgende Detailziele:

  • Erweiterung der Dimension der der Begegnung von Kulturen, um den interkulturellen Dialog zu fördern.
  • Verzicht auf Bewertung und Gewichtung
  • Unterstützung der Entfaltungs- und Entwicklungschancen kultureller Eigenständigkeit
  • Entgegenwirken der Fossilisierung von herkunftskulturellen Beständen, die die aktive und kreative Weiterentwicklung hemmen
  • Verwirklichung einer auf Chancenverbesserung und Gleichberechtigung ausgerichtete ausländer-/auslandspädagogischen Erziehung

Als konkrete Ziele des interkulturellen didaktischen Ansatzes sind zu nennen:

  1. Auslösen von „Befremdung“
  2. Zusammenspiel zwischen Reflexion und Selbstreflexion
  3. Erkennen ethnozentristischer Vorstellungen
  4. Identifikation mit Gemeinsamkeiten
  5. Finden einer gemeinsamen (Verständigungs-)Basis

Soziale Ziele:
Die Verbesserung der sozialen – und in gewissem Sinn auch der emotionalen – Kompetenz spielte ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung und Abwicklung des Projekts. Dazu gehören Aspekte wie erfolgreiche Anpassung an ein (neues) soziales Umfeld, positive Beziehungen zu anderen (Freund_innen, Bekannten, Lehrer_innen, Zufallsbekanntschaften, Gasteltern usw.) oder etwa ein prosoziales Verhalten (z.B. Teilen, Kooperieren, soziale Interaktion).
Dass das Fehlen dieser Kompetenzen die Ursache für viele Probleme darstellt und Maßnahmen zu ihrer Förderung positive Auswirkungen auf junge Menschen ergeben, ist unbestreitbar. Dementsprechend standen auch verschiedene Aspekte des Projekts unter diesem Vorzeichen, wie zum Beispiel:

  • Verschiedene Gruppendynamiken
  • Unterschiedlich konzipierte Gruppenarbeiten/-aufträge
  • Zusammenarbeit im Alltag (Weg erfragen, Rally, Information recherchieren, Leute befragen, gemeinsame Programmplanung, Umgang mit „Frustrationen“)
  • Verständnis aufbringen für die Emotionen anderer Kulturträger

Individuelle Ziele:
Die eigene Kultur bildet die Basis der Persönlichkeitsentwicklung eines jeden Menschen und ist Quelle seines Selbstbewusstseins und seines Selbstverständnisses. Über interkulturelles Lernen können Schüler durch das Kennenlernen einer anderen Kultur und Muttersprache wesentliche Elemente ihrer Herkunftskultur „freilegen“ und frei leben, was wiederum positive Auswirkungen auf das Individuum und seine Persönlichkeitsentwicklung hat.
In diesem Sinne war das Projekt durch den Einbau des Trainings verschiedener soft skills auch als Chance der Persönlichkeitsentwicklung konzipiert, um das Selbstwertgefühl der Teilnehmer_innen und ihre „Souveränität“ zu steigern. So lernten die Schüler_innen Ängste abzubauen und sich neuen Herausforderungen zu stellen (z.B. Stadtrundgänge selbst zu planen und auch durchzuführen, Organisation eines Grillabends, Entscheidungen über Programmänderungen zu begründen und mitzutragen, Schulung des Verantwortungsbewusstseins durch selbständige Verwendung von Transportmitteln, eigenständige Zeitplanung etc.).

Projekterfolg:
Die Persönlichkeit eines Menschen gilt oft als lebenslang recht stabil. Besondere Lebensereignisse können sie jedoch messbar und dauerhaft verändern. Dazu gehören auch Auslandsaufenthalte.
Praktisch alle Schüler_innen waren zum ersten Mal in ihrem Leben ganz allein auf sich gestellt, in einer fremden Umgebung, mit fremden Menschen und einer Sprache, die sie bisher meist nur aus den sicheren vier Wänden des Klassenzimmers kannten.
Das Projekt war so konzipiert, die Jugendlichen schrittweise an Selbstverantwortung und Selbstbestimmung heranzuführen. Deshalb gab es am Beginn einen mehrtägigen Aufenthalt in Wien, der dazu genützt wurde, den Schüler_innen einerseits die österreichische Realität schrittweise und gezielt näherzubringen, andererseits sie behutsam in das komplexe Konzept „Freiheit“ einzuführen. Für österreichische Verhältnisse mag es sich oft um Kleinigkeiten gehandelt haben, aber für unsere spezifischen guatemaltekischen Schüler_innen waren selbst kleine Schritte oft bedeutsam.
Sowohl nach eigener Aussage als auch laut Lehrer_innenbeobachtung kamen die Schüler_innen aufgeschlossener, selbstsicherer und reifer zurück. Der Einwand, die Jugendlichen seien schon vorher extrovertiert gewesen, gilt in den wenigsten Fällen, da manche sogar eine regelrechte Scheu vor dieser Reise verspürt hatten.
Alle Teilnehmer_innen gewannen dazu, wurden aufgeschlossener, emotional stabiler und sozial umgänglicher, als sie es vor dem Aufenthalt gewesen waren, fordert doch ein – wenn auch kurzer – Auslandsaufenthalt z.B. ein neues soziales Netzwerk aufzubauen, was gerade in der Pubertät wichtig ist, in der Freundschaften oft ein größeres Gewicht haben als die Familie. Wer aus sich herausgehen kann und sich unter anderen wohlfühlt und zurechtkommt, hat mehr Freunde.
Erfolg ist oft messbar, aber auch spürbar. Einheitlich haben unsere Schüler_innen besonders folgende Aspekte als persönlichen Gewinn hervorgehoben:

  • Intensivierung der Sprachsensibilität
  • Verbesserung der Deutschkenntnisse
  • Verstärkung des Verständnisses für an der Österreichischen Schule Guatemala erlernte Aspekte der deutschen Sprache bzw. österreichischen Kultur
  • Bessere Einsicht in Sitten und Gebräuche, aber auch Geschichte und Gegenwart Österreichs
  • Wichtige Erkenntnisse über das Leben in einer gut funktionierenden Demokratie
  • Kennenlernen der Vor- und Nachteile größerer persönlicher Freiheit
  • Entdecken eigener Fähigkeiten, die zuvor „versteckt“ waren
  • Interesse an einem Studium in Österreich
  • Das Bedürfnis, Gesehenes, Gehörtes, Erlebtes, Gelerntes in Guatemala „anzuwenden“ bzw. umzusetzen
  • Vielfach geäußerter Wunsch der TeilnehmerInnen, eine ähnliches Projekt wieder durchführen zu dürfen bzw. der SchülerInnen anderer Klassen, nach dem von den MitschülerInnen Erzählten, selbst auch an einem solche Projekt mitmachen zu dürfen
  • Kundgebungen der Zufriedenheit der Eltern

Dieser Tätigkeitsbericht kann, besonders im Kapitel „Projekterfolg“, nur einen blassen Schimmer des Lichts wiedergeben, den die Schülerinnen und Schüler in ihren Augen, aber auch ihrem Verstand und Herzen nach Hause getragen haben, um es – nach eigener Aussage – für immer zu bewahren. Lediglich eine Sammlung unzähliger Anekdoten könnte etwas mehr Farbenpracht in diesen Bericht einfließen lassen, was jedoch die Grenzen der Textsorte „Sachbericht“ übersteigen würde.
Alle Beteiligten hoffen, dass das Mobilitätsprojekt “Zwei Länder, zwei Kulturen, eine Reise” auch in Zukunft durchgeführt wird.